Jede neue Kunstform, anfangs noch verspottet, zieht irgendwann in die Hochkultur (oder was davon übrig geblieben ist) ein. Bei Comics hat es geschätzte 50 Jahre gedauert, aber selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung leistet sich seit 2002 mit dem Strizz von Volker Reiche einen täglichen Comicstrip.

Teilweise amüsiere ich mich als Pseudo-Bildungsbürger über den Wortwitz von Reiches Figuren und die Kommentierung der Tagespolitik, zumeist sagt mir aber die zugrunde liegende Moral des Ganzen überhaupt nicht zu. Insbesondere die Frauentypen Irmi und Omi (hat letztere überhaupt einen Namen jenseits ihrer Funktion, die sich ausschließlich aus ihrer Stellung im familiären Clan ableitet? Gesteigert wird diese Widerwärtigkeit noch durch die Benennung mit der Koseform) sind erzreaktionäre Rebellinnen. Das komplexe ödipale Universum wird ausgespart durch die von Donald Duck entlehnte Konstruktion der Familienverhältnisse als Onkel/Tante – Neffe (Strizz/ Irmi – Rafael); so bleibt der inzestuöse Wunsch außen vor und die deutsche Familienidylle unbefleckt.

Insofern bin ich recht froh, dass Reiche gerade in Urlaub ist und stattdessen der mir bis dahin unbekannte (oder sträflich übersehene) Thomas Bunk als Vertretung angeheuert wurde. Was kann ich sagen? Tosende Begeisterung! Bunks Comicstrips in der FAZ sind autobiographisch und chronologisch erzählt. Er beschreibt seinen Umzug von Berlin nach New York Mitte der 1980er Jahre als mittelloser Comicautor (daher auch der Titel “Ein Berliner in New York”), seine Begegnungen mit seiner späteren Frau Hinda und mit dem Maus-Zeichner und Comic-Großmeister Art Spiegelman, seine Konvertierung zum Judentum, sein Leben in New York. Insbesondere der Mix der verschiedenen Sprachen kommt in den Sprechblasen zum Ausdruck, ins Englisch sind immer wieder deutsche, französische, jiddische Worte eingestreut, die die verschiedenen Herkünfte im Migrantenmillieu wiederspiegeln. Bunk zeichnet alltägliche Szenen seines Lebens: den Abwasch zusammen mit seiner Frau, Straßenszenen, die Hebräischklasse, die Arbeit im Büro von und mit Spiegelman. Darauf basierend entwickelt er nach und nach die Geschichte seines Lebens in dieser Zeit. Eher selten sind dabei Rückblenden und Sprünge, wie etwa die geniale Hommage an Gerhard Seyfried im ersten Teil der Serie mit einer Berliner Straßenszene – die den Stil von Seyfried auf eine freundliche Art, ohne Hass oder Spott persifliert. Auch ansonsten ist die Sicht auf die Personen liebevoll. Bunk zeichnet alle Menschen in seinem Leben mit weichen Gesichtszügen, seine Beschreibung der Charaktereigenschaften bleibt auf der Sonnenschein-Seite der Emotionen.
Die kurzen Geschichten sind jedenfalls gut gemacht und ich freue mich jeden Morgen auf die Fortsetzung. Vielleicht sollte ich wieder öfter Comics kaufen.