Superlative zur Beschreibung von Kunstwerken zu verwenden ist generell fragwürdig, in diesem Fall aber gerechtfertigt: Eines der bekanntesten Fotos des 20. Jahrhunderts stammt von Jewgeni Chaldej. Die derzeitige Retrospektive ist Martin-Gropius-Bau beleuchtet das Wirken des sowjetischen Fotografen, dessen Werke der journalistischen Reportage zuzurechnen sind.
Ein zentraler Punkt der Ausstellung stellt dann auch das besagte Reichstagsfoto dar, dessen Entstehung beschrieben wird und dessen retouchierte Versionen in verschiedenen Varianten gezeigt werden. Die auffälligsten Veränderungen sind sicher die einmontierten Rauchschwaden sowie die entfernte Armbanduhr eines abgebildeten Soldaten. Chaldej, der in anderen Fällen selbst Montagetechniken anwendete, wollte diese als „Kombination“ verstanden wissen (etwa im Fall des Rentiers Jascha, das scheinbar friedlich vor einem Bombergeschwader im Einsatz posiert), und damit als dramtisierenden Effekt und nicht als Verfälschung der historischen Wahrheit.
In der Ausstellung werden verschiedene Etappen im Leben von Chaldej dokumentiert: etwa seine Arbeit als Kriegsreporter in Murmansk 1941, in Berlin und Österreich 1945, bei der Siegesparade in Moskau 1945, bei der Potsdamer Konferenz – und später, als er Industriereportage betrieb.
Die Relevanz von Chaldej leitet sich aber klar aus seiner Tätigkeit im 2. Weltkrieg ab. Er, als Zeitzeuge, direkt bei den Ereignissen dabei. Gerade die Tatsache, dass Chaldej „sicherlich kein Intellektueller“ (so von meiner Begleitung auf der Ausstellung beschrieben) war, macht den Reiz seines Wirkens aus. Eine eher naive Sicht der Dinge, aber doch einfach auf der richtigen Seite stehen.
Dies wird durch die Begleittexte sehr schön vermittelt, auf denen Chaldej selbst zu Wort kommt und er die Entstehungsgeschichte der Bilder kommentiert oder –teils reichlich skurrile- Annekdoten zu den Fotos zum Besten gibt.
Relativ vage umrissen bleiben die politischen und persönlichen Ansichten Chaldejs, sie lassen sich allenfalls aus einigen seiner Kommentare ableiten. Er ist definitiv überzeugter Antifaschist, Hakenkreuze an Fabriktoren sind ihm zuwider. In Österreich steckt er selbst das Haus eines ehemaligen KZ-Kommandanten in Brand. Er versteht sich als Sowjetbürger und bezeichnet sich selbst in einer von ihm beschriebenen Szene in Berlin 1945 als „sowjetischer Mensch“. Wie er zum Judentum steht, bleibt offen. Er sieht sich als Juden, ebenso hebt er bei Bekannten deren jüdische Herkunft hervor. Ein Foto zeigt ihn am Grab seiner Mutter in Begleitung eines Rabbiners. Ob er sein Judentum säkular oder religiös interpretierte was dies für seine Identität bedeutete und wie er die Diskriminierungen einschätzte, denen er ausgesetzt war, bleibt offen.
Chaldej wirkt auf den Fotos, auf denen er selbst abgebildet ist, zumeist freundlich und gut gelaunt, was bei dem Horror, den er selbst erlebte, sicherlich bemerkenswert ist. 1917 als Sohn einer jüdischen Familie geboren, wurde seine Mutter bei einem antisemitischen Pogrom getötet, er selbst schwer verletzt.
Später folgt seine Tätigkeit als Fotograf im Krieg, bis er 1948 aus der offiziellen sowjetischen Nachrichtenagentur TASS entlassen wird – seine Tochter Anna nennt als eigentlichen Grund dafür Antisemitismus. Später in den 1960er Jahren erfolgt eine teilweise Rehabilitierung und eine verstärkte Bezugnahme auf seine Fotografien des zweiten Weltkriegs in der Sowjetunion. Aber Chaldejs Leben bleibt eher beschaulich, seine Lebensumstände eher prekär. Erst spät wird sein Werk rezipiert, im hohen Alter kurz vor seinem Tod 1997 findet er international Beachtung und wird selbst zu seinem Wirken befragt.
Dies wird in der Ausstellung mit Videomaterial dokumentiert, bei dem er selbst auf einem Vortrag zu sehen ist. Neben ca. 200 Fotos werden in der Ausstellung weitere Artefakte präsentiert: Waren, auf denen Fotos von Chaldej abgebildet sind, seine Fotos, seine(?) Orden. Der einzige Kritikpunkt an der Präsentation wäre an dieser Stelle, dass nicht ersichtlich wird, von wem die Fotografien stammen, auf denen Chaldej selbst abgebildet ist (und ich auch im Blättern im Ausstellungskatalog keine Angaben dazu gefunden habe).
Die Ausstellung ist noch bis zum 28. Juli zu sehen – ein Besuch lohnt.