Einleitung
Eine umfangreiche Zusammenstellung von Klischees, die in Deutschland seit Ende der 1970er Jahre über Pornos geäußert wurden, findet sich in einem Text im aktuellen Conne Island Newsflyer. Die Gruppe mfg (meine frauengruppe) schreibt dort in „Der ist doch sonst ganz nett…“ über den Zusammenhang zwischen Patriarchat, Pornographie und Sexismus. Dabei wird ein internationaler Vergleich zwischen westlichen Demokratien und „dem Islam“ oder „islamistischen Staaten“ (was auch immer damit gemeint ist) unternommen sowie das Patriarchat historisch hergeleitet. All dies soll im Folgenden nicht Gegenstand der Kritik sein. Mir geht es einzig um die Positionen zu Pornographiekonsum und Sexualverhalten.

Denn schon die Nennung von Teresa Orlowski als Pornodarstellerin lässt auf das gehobenere Alter der Autorinnen und Autoren schließen. Leider auch auf das ihrer Theroriebildung, denn diese scheint wie die Karriere besagter Darstellerin vor längerer Zeit zu Ende gegangen zu sein. Diskurse zum sex-positiven Feminismus will mfg nicht zur Kenntnis nehmen (allenfalls als Fußnote), stattdessen wird sich auf die reaktionärsten Forderungen der deutschen Debatte um Pornografie aus den 1980er Jahren bezogen. Und genauso rückschrittlich wie führende Vertreterinnen des deutschen Feminismus (insbesondere die Position von Alice Schwarzer und EMMA) seit jeher waren, wird auch hier gegen Pornographie und vermeintlich unterdrückerische Sexualpraktiken losgeholzt.

Empirischer Lustmord
Zugegeben: die gesamtgesellschaftliche Wirkung von Pornos nachweisen zu wollen wird rein empirisch nicht möglich sein. Nur versucht dies die Gruppe mfg und stolpert bei diesem Unterfangen über die Widersprüche. So wird einfach dreist behauptet, es gäbe einen Zusammenhang (zwischen was eigentlich? vermutlich ist an der Stelle Pornokonsum durch Männer gemeint) und sexuell motivierten Straftaten. In der Fußnote an entsprechender Stelle wird die Aussage relativiert, dass man ja nicht so genau wisse wie jetzt und was und wer eigentlich. Aber warum besteht dann ein Zusammenhang? Und warum führt man eine nach eigenen Aussagen „problematische“ und empirisch nicht verifizierbare Kausalität an? Aber egal, es wird dann später die nächste Studie zitiert und danach steht am Ende von Pornokonsum „Amoklauf oder der Lustmord“ mit fließenden Übergängen. Oder eben auch Vergewaltigung, die angeblich in vielen Pornofilmen vorherrscht. Sexualität gilt damit als bedrohliches Unterfangen, bei dem am Ende der Mord steht – wenn nicht eine Strafinstanz als gesellschaftliches Über-Ich dazwischenfunkt und das Schlimmste verhindert. So denken ansonsten nur Innenministerinnen und Innenminister: „Es bleibt zu hoffen, dass das Gros der Männer mit geheimer Videosammlung im Keller seine (sic) diesbezüglichen Neigungen im Rahmen der Gesetze zu kontrollieren vermag.“

Wenn es dann hakt mit der Empirie, wird die Auswahl im Sinne der Theorie zurechtgebogen: “Pornoschauspielerinnen dieser Branche sind Karikaturen gesellschaftlicher Schönheits- und Attraktivitätsvorstellungen: groß und schlank bis auf die silikonprallen Brüste, langhaarig, schmollmündig.”
Was einzig belegt, dass die Autorinnen und Autoren dieser Aussage ihren Gegenstand nicht kennen. Sicher, das genannte Beispiel gibt es auch im riesigen Warenangebot der Pornoindustrie, neben vielen anderen Körpereigenschaften, die dort angeboten werden. Täglich kommen neue Kategorien dazu für alle vorhandenen oder potentiell möglichen Bedürfnisse und Fetischismen. Mfg konstruiert sich dagegen ein Ideal, dass es so nicht gibt. Wozu sich mit der Realität auseinandersetzen, wenn man die abgedroschensten Klischeevorstellungen als vermeintliche Beweise für die eigenen Thesen anführen kann.

Denn mit der Pluralität der Verhältnisse mag sich die Gruppe nicht auseinandersetzen. Alles viel zu komplex und kompliziert, deswegen wird einfach per Definition am Anfang das zu untersuchende Feld eingeengt: es soll nur um heterosexuelle Mainstream-Pornos gehen. Die These des „Mainstream der Minderheiten“ (Holert/ Terkessidis) war gestern, die Autorinnen und Autoren bauen sich einen homogenen Mainstream zusammen, von dem vermutet wird, dass er sexistisch sei (und der es wirklich ist) und schon kommt als Ergebnis genau das heraus, was man zu Beginn behauptete: sexistische Pornos sind sexistisch. Im Wissenschaftsbetrieb würde ein solches Ergebnis wohl als Tautologie bezeichnet werden. Man weiß zu Beginn, dass die Beziehungen zwischen den Geschlechtern „gewaltförmig vermittelt“ sein müssen, und dann werden genau die Belege herausgesucht, die diese Annahme unterstützen.

Hochassoziativ werden Alltagsbeobachtung, Statistiken und Fallbeispiele zusammengemischt. Es wird sich ein Fall wie die oben erwähnten, barbusigen Pornodarstellerinnen rausgesucht, ein Zusammenhang konstruiert, der sich für den Alltagsverstand logisch anhört, und fertig ist die Argumentationskette. So dient an anderer Stelle eine wahllos herausgegriffene Spammail als Beleg. Das nennt sich selektive Wahrnehmung: also nur die Belege, die die eigenen Einstellungen decken zu sammeln und alle Gegenargumente zu ignorieren. Gemeinhin wird dies als „Vorurteil“ bezeichnet. An anderer Stelle im Text beziehen sich die AutorInnen positiv auf „(e)mpirische (Sexual-)Wissenschaft“. Nur hat ihr eigenes Vorgehen recht wenig mit empirischer Sozialforschung zu tun. Denn es werden Tatsachen behauptet wie „dass ein Großteil der in den europäischen und nordamerikanischen Ländern lebenden Männer (…) nach wie vor Gefallen daran findet, zumindest in ihrer Phantasie ungehemmt sexuelle Herrschaft über Frauen auszuüben, die ihnen eigens zu diesem Zweck zur Verfügung stehen.“
Was heisst in diesem Fall „Großteil“? Ein per quantitativer Erhebung ermittelter Prozentsatz? Hat man diese Männer nach ihren Phantasien befragt? Empirische Sexualforschung wird (bzw. wurde) von Volkmar Sigusch mit kritischen Potenzial betrieben, aber nicht von mfg. Und auch politische Texte sollten so plausibel verfasst sein, dass ihr Gedankengebäude nicht beim ersten Nachfragen zusammenkracht.

Endstation Sadismus
„Wenn zum Standard gehört, dass Männer in Pornofilmen die Position des Strafenden einnehmen, der Frauen durch möglichst harte Penetration züchtigt, weil sie’s nicht anders verdienen, und der Schmerz der gevögelten Frau als Lustreiz fungiert nicht nur in Machwerken, die explizit auf SM-Vorlieben ausgerichtet sind (EMMA 5/2007) – dann sind die sadistischen Anklänge nicht zu übersehen und die Grenzen zwischen Lust und Qual fließend.“

Hinter der Sexualität, die Lust verspricht, lauert also der Schmerz. Mfg möchte dabei klare Grenzen – hier die gute, reine Lust, dort die abzulehnende Qual. Insbesondere sexueller Sadismus und Masochismus widerlegen diese Idee. Gerade letzterer scheint für das puritanische mfg-Universum so ungeheuerlich, dass er als Option noch nicht einmal in Betracht gezogen wird: Menschen ziehen Lustgewinn aus dem Erleiden von Schmerzen und der Unterwerfung. Dass generell Schmerz und Lustempfinden kaum voneinander zu trennen sind, kann im Lacanschen Begriff der „Jouissance“ gefasst werden, wobei bei der sexuellen Perversion (im Freudschen Sinn) Genuß nicht direkt, sondern durch das Erzeugen von Jouissance im Anderen erfahren wird – und der Masochist laut Slavoj Žižek die Lust in kleinen Portionen vom Herren zurückstiehlt.

Patriarchale Gesellschaft heisst nach mfg „oben und unten“, und das wird direkt auf Geschlechter als Sadismus für Männer und Masochismus für Frauen übertragen. Frauen sind danach masochistisch sozialisiert, Männer sadistisch und das bedeutet Unterdrückung. Was es mit Sadismus und Masochismus auf sich hat und was die Autorinnen und Autoren darunter verstehen, wird nicht beantwortet. Eine Krankheit? Ein Synonym für aggressive Charaktereigenschaften? Eine Form nicht-genitaler Sexualität?

Pornos gelten laut mfg als Vorstufe zum Sadismus, und dieser als schlimmer Gewaltexzess, der sich gegen Frauen richtet. Aber was ist, wenn Frauen Lust an der Unterwerfung beim Sex empfinden? Das darf es nicht geben. Alice Schwarzer brachte diese Position 1991 auf den Punkt: Weiblicher Masochismus ist Kollaboration. Dass sich der unterworfene Partner gerade durch die Geste Unterwerfung in einem Rollenspiel Lust verschafft, wird dabei ignoriert – das individuelle Empfinden zählt nicht. Gerade beim Thema BDSM werden oft die tollsten Projektionen aufgeworfen, die mehr über die Verfasstheit der Projizierenden, als über den Gegenstand selbst aussagen. Mfg schafft es innerhalb von einem Satz von BDSM zu Pädophilie und Snuff-Pornos zu kommen. Mit anderen Worten: hier herrscht die Kategorie Sexualverbrechen vor. Dass gerade BDSM (die Bezeichnung „Sadismus“ wird von der Szene abgelehnt) das Gegenteil von ungezügelter Sexualität und Gewalt darstellt, dürfte die Praxis dieser Subkultur belegen, in der sich die Verhaltensregel „safe, sane, consensual“ als Standard etabliert hat. Es handelt sich bei den Protagonisten um Bürgerinnen und Bürger, die auf die Freiwilligkeit eines Vertragsverhältnisses setzen. Hier herrscht Einigkeit darüber, dass das, was außerhalb dieses Vertrages liegt, eine Straftat darstellt. Die bürgerlichen Vorstellungen innerhalb von BDSM begünstigen also keineswegs einen schädigenden Exzess, sondern setzen auf ein reglementierendes Vertragswerk, das die Unversehrtheit der Beteiligten garantiert und temporäre Gewaltanwendung in eine enge, rechtliche Form zwingt. Schließlich geht es dabei, egal ob homo- oder heterosexuell um das gemeinsame Lustempfinden, das in erotischen Rollenspielen ausgelebt wird.

Aber wo genitale Sexualität eh schon Sadismus darstellt und der einzige Zweck von heterosexuellem Sex Frauenverletzung zu sein scheint, muss es sich hier um ganz und gar abscheuliche Praktiken handeln.

Repräsentation von Geschlechterrollen
In welcher Welt lebt die Gruppe mfg eigentlich, wenn nach ihrer Auffassung Pornos verschämt in finsteren Kellerräumen geguckt werden? In öffentlichen (CSD, Loveparade) und semi-öffentlichen (Clubs, Darkrooms) Räumen wird homo, hetero- und sonstwiesexuell gevögelt was das Zeug hält und der eigene Körper exhibitionistisch und hedonistisch zur Schau gestellt. Heute läuft im Nachmittagsprogramm im Fernsehen das, was vor 20 Jahren selbst nach Mitternacht für einen mittelgroßen Skandal gesorgt hätte. Die Pornoindustrie weicht wie die Kulturindustrie auf und wird zu einer riesigen Mitmachveranstaltung (was sich in der Netzkultur von youtube und youporn niederschlägt).

Dass es diese Liberalisierung von sexuellen Darstellungen gibt, ist zunächst zu begrüßen, denn so lässt sich offen darüber verhandeln, was Bedürfnisse von Subjekten sind und sein könnten. Aber die Gruppe mfg scheint die Pornografie wie den entwichenen Geist aus der Flasche wieder zurücksperren zu wollen: nämlich in die „Igitt! Pfui!“- Schmuddelecke der bürgerlichen Gesellschaft (die ja immer besonders gut in Kombination mit der bürgerlichen Doppelmoral funktionierte). Dass die Schmuddelecke so nicht mehr existiert sondern Sex öffentlich ausgelebt wird (und das nicht nur als stiller Zwang durch sexualisierte Werbeplakate), wird ignoriert und man bastelt einfach eine neue Ecke zurecht, in der Sexualpraktiken als pathologisch abgestellt werden können.

Getreu einer dystopischen, pessimistischen Entwicklung entwickelt sich alles von ganz schlimm nach noch viel schlimmer: mehr Gewaltsex, mehr Pornos, mehr Unterdrückung, mehr Sexismus. Die durch Pornos entfremdete Sexualität ist Wut, Rache, Hass, Aggression gegen die emanzipierte Frau. Woraus speist sich eigentlich diese Wut?

Etwa aus der Tatsache, dass Frauen inzwischen dasselbe verdienen wie Männer? Das stimmt so nicht, denn gerade Deutschland ist eines der Schlußlichter in der EU in Sachen Lohngleichheit nach Geschlechtern ( siehe Studie EU-Kommission). Gleichermaßen hat sich nach mfg das Patriarchat in den Überbau als Pornophantasie geflüchtet und wirkt dort unverändert weiter als „sexuelle Herrschaft“. So droht diese Phantasie ständig wirkungsmächtig zu werden und aus dem Rückzugsraum Porno sich in der Wirklichkeit zu manifestieren.

Bei dieser Beschreibung werden gesellschaftliche Rollen letztenendes als unveränderlich gekennzeichnet: egal ob zu Beginn des Patriarchats oder in der Bundesrepublik 2008 geht es ganz überhistorisch um die „maskuline Identität“, die – ein bißchen materialistische Krisentheorie dazutun – durch gesellschaftliche Umbrüche bedroht ist und sich in ihrer ganzen Grausamkeit in der Krisensituation unvermittelt offenbart. Einzig offenbart sich hier die Unbrauchbarkeit solcher Patriarchatsanalysen, wo die gesellschaftlichen Zustände im von Anfang an feststehenden Begriff aufzugehen haben. Ähnliches gilt für die blumigen Kategorien „der Westen“ und „der Islam“, bei denen alles auf ein Äquivalent gebracht wird, solange es als Waffe gegen letzteren taugt. Angeblich hat sich die Frau „im Westen“ gesellschaftlich emanzipiert, was – siehe Beispiel Einkommen – so nicht stimmt.

Dass Geschlechterrollen so fix wie von mfg behauptet wird nicht sind, zeigt die queere Theorie und Praxis, in der Rollen als relativ formbar vorgeführt werden. Sex und Gender werden als Praxen (doing gender) aufgefasst, die von den Subjekten selbst manipuliert werden können. Gerade die Verbindung von Körpereigenschaften und sexuellen Zuschreibungen wird im Zusammenhang mit queeren Porno thematisiert.

Bei mfg wird dagegen Gender als versteinert wie Zement charakterisiert (für das biologische Geschlecht interessiert sich mfg weniger). Da wandelt sich nichts, essentiell sind Männer seit jeher patriarchale Schweine, die immer nur das eine wollen – Frauen unterdrücken. Wenn das im richtigen Leben nicht mehr geht, dann entweder symbolisch in Pornos oder durch die ausgelebte Gewaltpornophantasie im Bett. Dass Transgender-Pornos inzwischen einen festen Bestandteil im Repertoire des Pornoangebotes ausmachen, will nicht so recht ins Bild der Frauenunterdrückung passen.

Von der unterdrückenden Sexualpraktik zur normierten Sexualität
„Der typische Pornogucker wird nach dem Konsum nicht aus dem Hobbykeller hervor schleichen und von seiner Lebensabschnittsgefährtin stracks Taten verlangen, die dem ähneln, was im Filmchen grade Teresa Orlowski mit ihm angestellt hat.“

Wie wirken Pornos also? Pornos entfachen Phantasien in männlichen Konsumenten (Frauen gucken natürlich keine Pornos und wenn, dann nur zu Lehrzwecken, nie aus Gründen der sexuellen Erregung), innerhalb derer er „schrankenlos dominieren, demütigen und gewalttätig sein kann“ aber diese Phantasien wird er – so die Behauptung an dieser Stelle – im wirklichen Leben nicht ausleben. Es herrscht eine konstante Bedrohungssituation analog zum staatlichen Ausnahmezustand: die entfesselten Phantasien spuken im einzelnen Mann herum; dieser weiß aber rational, dass er sie nicht ausleben darf und unterdrückt den vom Pornokonsum angeregten Impuls (der nächste Widerspruch: an anderer Stelle wird im Text behauptet, dass Pornokonsum tatsächlich zu Vergewaltigungen führt – also wie jetzt?).

Die in Pornos dargestellten Handlungen (welche eigentlich genau?) sind so abscheulich, dass sich die Feder von mfg sträubt weiter fortzufahren und die Gruppe es den Leserinnen und Lesern selbst überlässt, diese Leerstelle zu füllen. Worin sollen denn diese Techniken bestehen, die so schlimm sind, dass man sie noch nicht einmal benennen mag: Cumshot, anale Penetration, Anilingus oder Squirting? Was auch immer mfg sich an dieser Stelle vorstellt: bestimmte Sexualpraktiken gelten als unterdrückerischer als andere und damit als ablehnenswert. Aber wo steckt die Unterdrückung im Oralverkehr, außer in der Phantasie gewisser linker Gruppen?

Wie immer ist es der Mann, der aufstachelt durch Pornos diese Pfui-Praktiken von der Frau einfordert und sie dadurch demütigen will. Dass Sexualpraktiken eben nicht nur im Film, sondern als real ausgeführte Handlungen vorkommen, ist für mfg undenkbar – keine Frau würde das freiwillig mit sich machen lassen! Dass diese Praktiken von Frauen eingefordert werden könnten, gilt ebenso als undenkbar. Dass diese Praktiken beiden Partnern Lustgewinn verschaffen könnten und gerade deswegen in beiderseitigem Einvernehmen praktiziert werden erst recht. Genau: Frauen interessieren sich nicht für Sex und Tango wird auch immer alleine getanzt.

Das Schweigen über die konkreten Sexualpraktiken zeigt auch das Verhältnis zur Sexualität auf: diese wird nicht als eigenständiger Bereich wahrgenommen, sondern nur als Schlachtfeld des Machtkampfes zwischen Männern und Frauen. Wo die Vertreterinnen und Vertreter beider Gruppen mit antagonistischer Interessenlage notgedrungen zusammenkommen – im Bett – kommt einzig das Patriarchat zum Vorschein. Heterosexueller Sex ist Krieg der Geschlechter in einem Nullsummenspiel: Gewinne werden nur auf Kosten der Gegenseite, „auf Kosten des anderen Geschlechtes“ realisiert. Bei dieser Frontkonstellation der sozialen Großgruppen müssen notgedrungen die Interessen des Individuums unter die Räder kommen: dieses zählt nur als Protagonist der einen oder anderen Seite. Insbesondere Frauen, deren Interessen sich nicht mit den Interessen ihres Geschlechtes decken (etwa im Falle des weiblichen Masochismus, der Gretchenfrage des Feminismus), muss aus dieser Position heraus zwingend im Einklang mit Alice Schwarzer der Vorwurf des Verrats der objektiven Interessenlage und damit der Kollaboration gemacht werden. Der einzelnen Frau wird das Recht abgesprochen, an bestimmten Praktiken Gefallen zu finden. Sie gilt als Opfer der männlichen Lust, für sie muss Sex immer wie für die Pornodarstellerin „experimentell-unbefriedigend“ sein – sofern die männlichen Triebe ausgelebt werden und nicht durch Sanktionen gezügelt werden.

So wird von mfg ein Normalfall der Heterosexualität konstruiert, wonach in einem asynchronen Machtgefälle der Mann die Frau mit unausprechlichen Gelüsten bombardiert, um sich selbst sexuell zu bereichern (und seine Misogynie auszuleben) und damit die Frau zu unterdrücken. Per Negativbestimmung landet mfg bei einer normierten Sexualität. Was bleibt übrig, wenn die als negativ beschriebenen Sexualpraktiken von der Sexualität subtrahiert werden? Das Idealbild einer vom Schweinkram gesäuberten Sexualität, die als Kuschelsex von heterosexuellen Paaen im stillen Kämmerlein praktiziert wird. Hier trifft leider wie die Faust aufs Auge, was die Schriftstellerin Virginie Despentes in einem Interview in der Jungle World formuliert: „Männliche Heterosexualität wird durch die Anti-Porno-Bewegung reguliert und aufrechterhalten. […] Es ist die Frau, die im Mittelpunkt steht und als Identifikationsfigur dient. Realpolitisch sind Anti-Porno-Initiativen meistens pro-heterosexuelle Familienbewegungen. Porno bedroht die männliche Sexualität und die maskuline Tradition.“

Und das ist die Norm, die sich als moralischer Imperativ durch den Text zieht. Sexualität wird ausgehend vom heterosexuellen „normalen“, ehelichen Sex (die Zweierbeziehung wird ebenso vorausgesetzt) zwischen Mann und Frau gedacht, wobei die bestehende Norm die Grundlage des Denkens von mfg ausmacht. Und der haben sich dann auch Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender unterzuordnen.

Fazit
Dass die meisten Pornos sexistischer Mist sind, will ich nicht bestreiten. Blöde Anmachen, Grapschereien und Vergewaltigungen? Auch das sind Zumutungen, denen Frauen leider immer noch ausgesetzt sind. Nur ändern sich diese Tatsachen nicht zum Besseren durch eine völlig falsche Kritik, die sexuelle Handlungen generell ausschließlich als Bedrohung definiert. Außer einem moralisierenden Vokabular hat der Text von mfg relativ wenige stichhaltige Argumente zu bieten.

Was dem Text zugute gehalten werden muss ist der Versuch, nicht nach dem Klassiker der verkürzten Medienkritik ein kulturelles Phänomen (historisch waren das bisher u.a.: Arschfickrap, Heavy Metal, Videorekorder, Miniröcke, Comics) für gesellschaftliche Mißstände veranwortlich zu machen, sondern diese Mißstände in einer spezifischen gesellschaftlichen Verfaßtheit zu verorten – auch wenn das m.E. durch die überhistorische Betrachtungsweise mißlingt.

Leider kann mfg nicht nachweisen wie Pornokonsum und Sexualverhalten in Beziehung zueinander stehen. Zum anderen kann nicht belegt werden, was das alles mit Sexismus zu tun hat. Stattdessen werden markige Parolen herausgebollert wie: „Das Ja zum Porno ist kein Ja zur Emanzipation.“ Emanzipation für wen oder was und wovon oder wofür eigentlich? Lesben, Schwule, Bi´s und Transgender und deren Bedürfnisse hinsichtlich pornografischer Erzeugnisse tauchen in dem Text nicht auf, denn das würde einige Verwerfungen hinsichtlich des klaren Unterdrückungsverhältnisses aufzeigen. Wo Linke inzwischen eigene Queer-Pornofestivals organisieren und über Politik und Pornos diskutieren, wird von mfg getreu der Doktrin des deutschen Steinzeit-Feminismus der Pornographie ein „No pasaran!“ entgegengeschleudert.

Vordergründig will der Text Geschlechterklischees entlarven mit scheinbar ironischer Verwendung von Floskeln wie „zur Karrierefrau gemausert“. Im Endeffekt reproduziert er aber genau die Geschlechterklischees, die er vorgibt zu bekämpfen: dort die schützenswerte Frau, die vor der ungezügelten, lauernden, männlichen Sexualität in Sicherheit gebracht werden muss. Auf der einen Seite die gute, weibliche Sexualität, auf der anderen die von Porno- und Gewaltvorstellungen durchseuchte männliche Unterdrückersexualität.

Und diese Zuschreibungen implizieren ganz schön altbackene Rollenvorstellung. Implizit wird damit eine normierte Sexualität eingefordert, die frei von den als pervers gebrandmarkten Praktiken sein soll. Also immer schön artig bleiben und unmoralische, d.h. männliche Sexpraktiken, unterlassen. Mfg fordert letztenendes eine repressive Sexualmoral ein. Dagegen wäre zu halten, dass auch Frauen das Recht haben, sich aus dem reichhaltigen Angebot der Sexualpraktiken zu bedienen und selbstbestimmt zu entscheiden, was ihnen davon zusagt und was nicht. Statt die vorhandenen Bedürfnisse der Subjekte als falsch und unterdrückerisch zu diffamieren, gilt es genau dort anzusetzen – so doof man diese auch finden mag. Der sex-positive Feminismus ist dabei der derzeit vernünftigste Weg um sexuelle Selbstbestimmung und den Kampf gegen Sexismus unter einen Hut zu bekommen.

PS: Wie steht es denn mit den Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen und –arbeitern, gerade in der Pornoindustrie? Das wird zwar kurz und abstrakt angerissen, aber die konkreten Produzentinnen und Produzenten bleiben außen vor. Soviel Materialismus darf es dann doch nicht sein, denn das ist mfg im Unterschied zum entsprechenden Diskurs in den USA keine Frage wert. Ganz paternalistisch werden Frauen in der Sexindustrie zu Opfern verklärt, die sich „von irgendwelchen Widerlingen auf experimentell-unbefriedigende, wahrscheinlich schmerzhafte Art haben ficken lassen“. Es ist ja auch viel einfacher im Vorfeld bereits zu wissen, wie die Welt funktioniert, anstatt sich mit den tatsächlichen Akteuren und Zuständen auseinandersetzen zu müssen.

Alle kursiv gesetzten Zitate aus dem Text “Der ist doch sonst ganz nett…” der Gruppe mfg.