Das Wochenende beginnt mit einer Lektion in Sachen Tristesse westdeutscher Kleinstädte. Als gäbe es eine einzige gusseiserne Backform, aus der mit einer immergleichen Monotonie das Land übersät wurde. Gepflegte, kurzgemähte Rasen, kleine Vorgärten und Vordächer, akurat angelegte Straßen mit Reihenhäuser. In der einzigen Bar vor Ort, die das nicht vorhandene Jugendzentrum ersetzt, dröhnt Freitag abends Sound, als wäre man im Kofferraum eines GTI mit Bassrolle eingesperrt. Es darf, nein, es muss getanzt werden. Kein Song ist jünger als 5 Jahre und es wird von deutschem Elektroclash wie 5Sterne, Deichkind, zu Fettes Brot und den Ärzten übergegangen. “Wir sind die coolsten wenn wir cruisen” darf da nicht fehlen. Teeniegirls tanzen bis halb eins, dann gehen sie heim, denn der DJ hat sie endgültig verjagt. Billige Hartalkpreise und widerwärtige T-Shirts der lokalen Jungmänner, denen sich die “Idiotie des Landlebens” tief in den Charakter eingebrannt hat und die diese Deformationen nun stolz durch Aufdrucke wie “Bier formte etc.” zur Schau tragen. Mir geht das Kleinstadt-Lied von Terrorgruppe nicht mehr aus dem Kopf für die nächsten Stunden. Ein Glück kommt man hier irgendwann wieder raus.
Am nächsten Nachmittag dann die Verwicklung in einen Auffahrunfall auf der Autobahn mit dem Mietwagen. Vollkontakt mit holländischem Anhängergespann und unser Auto ist fahruntauglich. 5 Minuten vor Ende der Öffnungszeiten noch an der Autovermietung am Flughafen einreiten und durch Terminals rennend den Ersatzwagen abholen. Alles wird gut, ein Falafel mit Minzsoße beruhigt die aufgepeitschten Nerven.
Die Party am Abend ist in Köln-Ehrenfeld. Zu Beginn noch halbwegs leer, ist der Laden irgendwann rappelvoll mit 400+ Besuchenden. Es wird über den Beamer ein Propagandafilmchen über die feudale Regentschaft von Haile Selassie gezeigt. Wir belustigen uns prächtig über die farbenfrohe und völlig pathetische Darstellung seiner Regentschaft. DJ Empfänger von Jawmodulation hat die undankbare Aufgabe vor leerem Haus zu spielen, hat dafür aber eine ganz ausgezeichnete Selektion an Dubstep dabei und mixt proper. Wir betreiben derweil brutalstmögliches Handshake-Business und soweiter und sozialisieren mit den anwesenden Repräsentanten verschiedener Crews und den Veranstaltern von Backhaus Beats.
Danach Tycho von BamBam Babylon Bajasch mit einem Liveset, das eher flott nach vorne geht. Gleichzeitig erzählt mir jemand von links, dass die letzte Platte auf meinem Label eines der besten Releases der letzten Zeit gewesen sei, während jemand von rechts die Platte als die bis dato schlechteste des Labels bezeichnet. Wie jetzt? Kann man diese Extreme nicht irgendwie dialektisch aufheben? Muss ja auch nicht sein. Die Desmond Denker Platte muss ich mir mal noch holen
Neurosis Orchestra, d.h. wir spielen als nächstes und es gibt diverse Problemchen. Erst lässt sich ein Effektgerät nicht anschließen und wir haben keinen Pegel auf dem Mischpult, dann fällt die Monitorbox aus und dann müssen wir noch den Sound runterdrehen, als die Polizei vor der Tür steht. Durchs Mikro mache ich deswegen eine Ansage was die anderen 50% von Neurosis Orchestra fürstlich amüsiert. Besser als einen MC dabei zu haben, der die ganze Zeit sabbelt, denn ein Satz pro Set reicht auch. Auch mit Vocalsamples knausern wir, so wie immer. Nach einer Stunde mit schleppendem Halfstep sind wir fertig und Wadadda übernimmt mit einem digitalen DJ Set und nur einem der beiden angekündigten “Atzen” als MC. Die Talkover-Funktion am Mischpult ist nicht so prickelnd, der Sound geht runter, sobald der Typ zu rappen beginnt. Wadadda mixt die dicken Tunes, ich gehe mir derweil BamBam Babylon Bajasch auf dem anderen Floor angucken. Ben legt Le Jad auf Peace Off auf und ich meine, dass es ganz gut sein könnte, die Hände in die Luft zu heben und hart zu raven. Zombieflesheater sieht das ähnlich und legt ein paar kesse Tanzschritte auf das Parkett hin. Dazwischen spielen BamBam live und die Anlage ächzt aus allen Transistoren. Danach Ragga Jungle und Core Business, bis keiner mehr da ist morgens um 6. Ich lehne an einer Wand und mir wird später berichtet, ich hätte nur noch vom Tomatenschnaps erzählt, den mir jemand davor ausgegeben hatte. Sehr viele Kölsch waren es auch noch dazu. Mit dem Taxi zum Schlafplatz und auf dem Boden von Zoologne nächtigen.
Die Mitfahrerin auf der Rückfahrt am nächsten Tag muss was-auch-immer von uns denken, nachdem sie mit Doom Metal, Dubstep und Ice-T (ich beginne bei “I´m your pusher” mitzurappen) beschallt wird und wir eine längere Diskussion um den materialistischen Gehalt der Begriffe “Bedürfnis”, “Fähigkeit” und “Wahrheit” führen. Ein Glück ist erstmal unter der Woche um sich vom Wochenende zu erholen.