Ungeordnete, skizzenhafte Überlegungen zur Beschreibung eines Gegenwartsphänomens. Schon komisch: Vertreterinnen und Vertreter bestimmter politische Gruppen und Spektren versammeln sich per Demonstration (Gedankennotiz an mich: die Geschichte und Funktion von Demonstrationen im bürgerlichen Staat recherchieren) im öffentlichen Raum und dort wollen kollektiv eine gemeinsame Sache repräsentieren, aber sie wollen nicht auf Fotos, die diese Manifestationen dokumentieren, zu erkennen sein.

Der Mythos der eigenen Radikalität wird dadurch am Leben gehalten, dass es jemanden gibt, der es – eingebildet und real – auf einen abgesehen hat: der politische Gegner sowie die Staatsmacht. Alle machen Fotos und Videos in dieser Konstellation: die verschiedenen Organe der Staatsmacht (Dokumentation von Straftaten, geheimdienstliche über Personenzusammenhänge), die eigene Seite sowie (potentiell) der politische Gegner.

Mich interessiert weniger die Staatsmacht an dieser Stelle, als die merkwürdige Konstellation mit dem politischen Gegner.Dabei gibt es einige rätselhafte Prämissen: Anonymität gilt als Schutz und hohes Gut, das eigene Bild wird gehütet wie ein Heiligtum. Als ob die Seele abhanden käme und man etwas wirklich weltbewegendes damit erreicht hätte, wenn Foto + Klarnamen zusammentreffen und medial veröffentlich werden. “Outing” heisst es, wenn die Fotos des Gegners in den Stadtraum plakatiert werden. Als ob man irgendeine Form von Macht dadurch erlangen würde: selbst anonym zu bleiben, aber den Gegner zu enttarnen, seine Identität zu habe, die Maske herunterreissen, seinen zu Namen nennen. Diese Praxis trägt Züge eines Sakrilegs; die kultische Praxis der gezielten Tabuverletzung. Das Übel wird gebannt, wenn sein Name laut ausgesprochen wird. Schließlich muss auch das Böse einen Nachnamen und eine Telefonnummer haben. Dem Medium wird eine dämonische Macht zugeschrieben, der Ausdruck von der “Macht der Bilder” scheint sich hier materiell zu manifestieren.
Dem Foto kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Nicht das direkte Anschauen auf der Demonstration gilt als gefährlich, sondern erst das Festhalten in der Ablichtung des Moments (Gedankennotiz an mich: in diesem Kontext relevante Theorien der Fotografie recherchieren). Weniger sind es textbasierte Adressenlisten, die gefährlich wirken, sondern die Kombination aus Foto und Namen.

In Zeiten, in denen mehr Digitalkameras verkauft wurden als analoge Kameras zuvor und sich in nahezu jedem Mobiltelefon eine Kamera befindet, führt sich der Demoklassiker “Kameramann, Arschloch” selbst ad absurdum: Wir alle sind Arschlöcher. Die Verbreitung der Technik macht dem schönen Spiel einen Strich durch die Rechnung. Aber wie Don Quijote wird weiter gegen die Windmühlen der Fotografie gekämpft. Diese habe sich bitteschön den eigenen Regeln zu beugen und Fotografieren sollten nur dazu von Demoleitung Befugte. Dem Medium wird misstraut, seine Nutzung muss reglementiert werden. Auch in bestimmten, sich als politisch wähnenden Orten, darf nicht fotografiert werden.

Medienkontrolle und Bildpolitik: wie möchte ich dargestellt werden? Wer darf mich wann und wie ablichten? Wieviel Einfluß habe ich auf die anschließende Nutzung? Die versuchte Einflußnahme auf die Entstehung des Fotos ist der Versuch einer Medienstrategie. Da über die anschließende Nutzung wenig Einfluß besteht und kaum ein Anwalt zur Wahrung von Bildrechten eingesetzt wird (die bei öffentlichen Versammlungen sowieso kaum zählen), wird versucht auf Demonstrationen die Entstehung von Fotos zu beeinflußen: den eigenen Teilnehmern wird ein je nach Lage angepasster Kodex auferlegt (keine Fotos machen etc). Staatsmacht, Presse und Gegner erreicht dieser aber nicht. Wobei die Fotografinnen und Fotografen des politischen Gegners auch an ihrer Arbeit behindert werden können oder gelegentlich auch verprügelt werden.

An wen wird appelliert? Zufällig Vorbeilaufende und Anwohnerinnen und Anwohner während einer Demonstration, an die Staatsmacht, an den politischen Gegner, an die eigenen Sympathisantinnen.

Die Beteiligten selbst haben eine ambivalente Haltung gegenüber dem Bild: die eigene Demonstration soll explizit dokumentiert werden. Denn schließlich würde sie recht wenige Leute erreichen, wenn nicht im Nachhinein darüber medial berichtet würde. Das Foto gilt als objektiver Beweis, dass das Ereignis wirklich stattfand und die Teilnehmerzahlen nicht phantasievoll nach oben gemogelt wurden etc. Die einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sollen aber nicht zu erkennen sein. Also wird zur Unkenntlichmachung Prophylaxe betrieben (Vermummung, die ja nur begrenzt legal ist) oder es werden nachträglich Bilder bearbeitet: Zensurbalken und digitale Verfremdungen zur Unkenntlichmachung der Gesichter (die Körper dürfen weiterhin betrachtet werden).
Letzteres funktioniert nur, sofern “die eigene Seite” Fotos gemacht hat und entsprechende Fotografinnen oder Fotografen sich an den Konsens halten, dass Gesichter nicht zu sehen sein sollten.
Fotos mit geschwärzten Gesichtern sind nur noch für die szeneinternen Publikationsorgane zu gebrauchen, in der Tagespresse werden diese nicht abgedruckt.
Auch erstaunlich: diese Praxis scheint es in Deutschland in bestimmten politischen Spektren zu geben, in anderen Ländern wird mit der medialen Repräsentation von linken Demonstrationen anders umgegangen. Allerdings wird auch anderenorts die Taktik des öffentlichen Denuzierens missliebiger Personen angewandt. Knüpft die Taktik doch eher an Fahndungsplakaten an oder schlimmer noch: der Rückkehr des mittelalterlichen Prangers? So werden im US-Bundesstaat Indiana auch schon Besucher von Sexshops fotografiert und die Fotos veröffentlicht:

“Unfortunately, a Lion’s Den in Indiana has come under attack by anti-porn protesters, who are not only violating local ordinances in their protest, but also harassing customers and employees by means such as taking their pictures and posting them on the internet.” via exploringintimacy

Also: diese bürgerliche Form der Artikulation politischer Anliegen im öffentlichen Raum wählen und damit auf eine Reaktion in der Öffentlichkeit abzielen (direkt und medial). Es bedeutet für die Individuen, dass sie mit dem eigenen Körper und Gesicht für eine Sache vor Ort einstehen wollen. Aber: hinterher auf Fotos erkennbar sein möchten sie nicht. Dort soll nur das Kollektiv sichtbar sein, nicht Einzelne.