Vor der Aufführung wird der Film Martyrs von Pascal Laugier (2008) als “vielleicht provokantester Beitrag” des diesjährigen Fantasy Filmfestes angekündigt, er würde an die Grenzen gehen und niemanden kaltlassen, egal ob man ihn nicht mögen oder als “cineastische Offenbarung” feiern würde. So die Moderatorin. Und der Film macht wirklich etwas mit einem körperlich: Adrenalinausstoß und extremes Ausgelaugtsein hinterher.

Der Plot beginnt mit den verwackelten Aufnahmen eines gepeinigten und mit Wunden übersähten Mädchens, dass 1971 aus einem Fabrikareal flüchtet. Wie in einer Dokumentation erfahren wir, dass sie dort gefangengehalten und gequält wurde. 15 Jahre später klingelt es an der Haustür einer Familie, die gerade beim idyllischen Sonntagsfrühstück sitzt. Nur soviel: das Haus wird der Schauplatz des weiteren Verlaufs.

Was mir nicht zusagte: Unsäglich fand ich die Szenen mit dem Monster. Es wirkte wie eine schlechte Mischung aus Evil Dead II und Herr der Ringe. Den Kampf mit den inneren Dämonen hätte man besser in Szene setzten können als durch diese platte, figurative Darstellung.
Genau so operierte der ganze Film: Schock durch die vermeintlich realistische Darstellung der Wirkung von Gewalt auf menschliche Körper. Leichen fallen schlaff mit dumpfen Geräuschen in Gruben, Körper liegen zusammengesackt übereinander. Wunden wirken aufgequollen, aus dem Körper herausquellend, blutig und frisch, alt und vernarbt, in allen Farbvariationen, Klingen werden tief ins Fleisch geritzt. Gerade die Borderliner-artige Ritzerei ist ein sehr prägnantes Motiv des Films.

Zum Schluß kommt dann die Verschwörung ins Spiel: ein Zirkel von Vertreterinnen und Vertretern der gehobenen Gesellschaft steckt hinter allem. Sadismus ist hier Mittel zum Zweck, um das Forschungsprogramm durchzuführen. Nur gab es das schon bei de Sades “Die 120 Tage von Sodom und Gomorrha” im Jahr 1782 (wurde 1975 von Paolo Pasolini verfilmt). In diesem Roman wurde der bürgerlichen Gesellschaft ihre eigene Grausamkeit vorgehalten: die eiskalte Opferzählung per Abrechnung am Ende. Martyrs dagegen interessiert sich nicht für den sexuellen Gehalt der Quälerei. In der ewigen Schlußsequenz geht es um das gewaltsame Füttern und gezielte Faustschläge. Das endlose Warten, das die eigentlich Folter ausmacht, wird weitestgehend ausgespart und durch die Monotonie der Wiederholung mit der substituiert. Vergewaltigung als Folter wird dann doch nicht gezeigt – es geht schließlich um Höheres, als sexuelle Demütigungen.

Kalt inszeniert ohne jegliche Emotion ist das Interesse des Foltererzirkels ein pseudo-wissenschaftliches. Es ist die angeblich nicht-religiöse, dann aber doch gnostisch motivierte Suche nach dem Märtyrer, um Erkenntnisse über das Leben nach dem Tod zu erlangen. Nein, mit diesem Mystizismus-Quatsch kann ich wenig anfangen. Ebenso wie mit Legenden, dass sich die Erkenntnis der Wahrheit im Auge einer sterbenden Person widerspiegeln würde.

Der Film handelt von Frauen. Männer spielen eher zweitrangige Rollen. Selbst der männliche Folterer ist nur ein ausführendes Organ eines übergeordneten Willens. Zentral sind die Leiden der Protagonistinnen: Dämonen ausspuckend, selbstaufschneidend, selbstverstümmelnd oder das Leiden still ertragend. Dagegen die Frauen der anderen Seite: die aktive Familienmutter, die selbst Wasserleitungen repariert und die kaltblütige Chefin des Zirkels. Gerade sie handelt aus kühlem Egoismus und Berechnung das gnostische Geheimwissen teilt sie am Ende mit keinem.

Wo schon die sexuellen Konnotation des Leidens ausgespart werden, wird auch auf das Anpacken anderer heisser Eisen verzichtet: heutiges Märtyrertum ist im politischen Islam zu verorten. Damit will man sich aber nicht auseinandersetzen und ist das Forschungsinteresse der Protagonisten die Suche nach der “atheistischen Märtyrerin”. Denn eine Konfrontation mit dem Horror da draußen wäre dem Zuschauer nicht zuzumuten. Da setzt man lieber auf bunte Splattereffekte, wo Metallstifte aus Köpfen unter dem Einsatz von viel rotem Kunstblut gezogen werden. Der wirkliche Horror bleibt ausgespart. Und das war auch mein Problem mit dem Film: er mäanderte zwischen Fantasy und Drama, und ersteres lässt die Darstellung sozialer Realität in diesem Fall lächerlich wirken. Gerade durch die Zurschaustellung dessen, was nicht direkt darstellbar ist, zielt er an seinen Themen vorbei: das Leid, das Grauen, die psychischen Qualen.

Auf jeden Fall ein lohnenswerter Film, insofern man die volle Ladung körpereigener Botenstoffe ausgelöst durch explizite Gewaltdarstllungen als Freizeitabendunterhaltung definiert. Eine treffende Charakterisierung findet sich übrigens: das Böse fährt Mercedes-Benz.
Außerdem ätzen sich einige Szenen tief ins Gedächtnis ein: da Sache mit dem Messer etwa. Nein, das hier ist kein Psychogrusel wie die Saw-Reihe, hier wird permanent bis auf die Knochen gesägt.

Teaser auf youtube.