Wie jedes Jahr bildet sich eine Traube aus Menschen. Mit hochgestreckten Armen werden Digitalkameras in die Luft gehalten; auf der Suche nach dem guten Motiv und dem persönlichen Erinnerungsschnappschuss. Wenn Twitter einfach erfunden werden mußte, damit es für das iPhone passende Applikationen gab, dann muss auch hier irgendjemand den ersten Stein (das gibt es doch heute gar nicht mehr – Bierdosen sind angesagt) werfen. Sonst gäbe es keine Bildmotive. Simulation oder Inszenierung, ist hier die Frage. Langeweile ist der schlimmste Fall, der hier eintreten kann.
Konsum finden alle nicht so gut, aber am Kiosk muss man Schlange stehen. Die Toiletten bei McDonalds gleichen einem Schlachtfeld, am Schalter unten wird such brav angestellt. Auf einer Demonstration verkauft ein Typ Buttons und Trillerpfeifen. Es fehlt der mobile Bratwurst-Mann mit Umhängegrill. Alle finden hier alles irgendwie gut, schließlich geht es ja um eine gute Sache. Selbst die Anti-Gewalt-Einheit der Polizei applaudiert bei den Redebeiträgen, bei denen sich die miesesten Antifa-Gruppen Berlins ein Stelldichein geben und mit untergalaktischen Klischees aufwarten: Nazis überfallen Leute und schlagen sie zusammen und dann würde man Sprüche hören wie “der war doch bloß betrunken” und “der hat das nicht so gemeint”. Auf solchen archetypischen Vorstellungen wird eine weltfremde Weltsicht aufgebaut. Die ganzen Diskussionen um die Rolle des Antifaschismus und der deutschen Zivilgesellschaft wurden 2001 geführt. Hier offensichtlich nicht. Ist ja auch egal, man tut schließlich etwas Gutes. “Eiapopeia mit Negern” hat das Wiglaf Droste mal in den frühen 1990ern genannte. Heute wird in der Ethnohölle getrommelt gegen Nazis. Als ob diese sich von mieser Musik vertreiben lassen würden. Die Musik aus der Konserve ist 15 Jahre halt. Seitdem rotiert dieselbe CD mit linker Bierzeltmusik, Chumbawamba, Die Ärzte und “Firestarter” und “Rage against the machine”. Bei den progressiveren Demos kommt mieser Bollo-Techno dazu. Würde man eine aufblasbare Hüpfburg aufstellen und “NPD-Zentrale” draufschreiben, könnten sich hier alle austoben.
Der Tonfall der Redebeiträge ist immer derselbe. Die Stimme wird aufgedreht und dann werden Texte vom Papier abgelesen und verhaspelt vorgetragen in einem monotonen Tonfall. Man hätte beschlossen die NPD abzuschaffen, deswegen sei man hier. Der übliche Größenwahn der guten Sache. Der Sound des Gymnasiums wird mit rhetorische Fragen unterlegt. Jutta Dittfurth ist da schon weiter, die hat ihren Grundkurs in Demagogie vor Jahrzehnten erfolgreich absolviert und beherrscht souverän das lockere Fische-in-die-Menge-werfen im Jahrmarkt der Klischees. Das revolutionäre Subjekt findet sich hier in marginalisierten Gruppen jenseits des Normalarbeitsverhältnislohnarbeitsproletariats. Die Hoffnung liegt in der Subalternen. Hat ja schon mal funktioniert: An Ulrike Meinhofs “Bambule” will sie anknüpfen und unterschlägt dabei, dass die Heimkinderschicksale heute im bürgerlichen Diskurs aufgearbeitet werden. Von Lichterketten und der Love Parade redet sie als negative Bezugspunkte, und genauso in vorigen Jahrzehnten hängengeblieben wirkt ihre Rede auch.
Es wurden davor von der Presse Krawalle herbeigeschrieben und so zählt heute jeder geworfene Stein doppelt. Sollte man hinter einer vernagelten Fassade den Kapitalismus gefunden und dingfest gemacht haben, möge man mir bitte Bescheid geben.
PS: Bevor einige Supertrottel das hier Gesagte für ihre Zwecke umdeuten der Disclaimer: es gibt auch noch 364 Tage im Jahr, bei dem Kapitalismus und seine Auswüchse ein paar auf die Fresse verdienen.