Sich über politische Sachverhalte zu verständigen – wozu soll das gut sein? Politische Diskussionen in der Linken sind Studentensport, bei dem überschüssige Energien losgelassen werden. Und das von denjenigen, die durch ihre schulische Ausbildung für´s Denken zugerichtet sind. Außerhalb dieses Kontext macht sich kaum jemand die Mühe, den verquasteten Gedankenanstrengungen zu folgen.

Wie da diskutiert wird, könnte man sich näher anschauen. Etwa das Verhalten von denjenigen marxistischen Positionen, die dem Gegenüber falsche Argumente nachweisen wollen. Dabei werden gleich ein paar Prämissen übersehen, die die Argumenten-Freunde selbst unterschrieben haben. Denn um ein Argument als sinnvoll zu erachten, muss ich den Begriff von Logik, der ihm zugrunde liegt, teilen. Und hinterher die Waffen strecken, nachdem mein Gegenüber mich mit den haushoch überlegenen Argumenten überzeugt bzw. besiegt hat. Öffentliche Diskussion gilt in dieser Sichtweise als Kampfarena, bei dem vor interessiertem Publikum um die besseren Argumente gefochten wird. Über Sinn und Unsinn dieser Vorstellung kann man sich so seine Gedanken machen. Nur kurz dazu: Ich kann mich genauso für die Inkonsequenz entscheiden. Nämlich zuzustimmen, aber dann doch anders zu handeln.

Es gleicht einem Rennen außer Konkurrenz: Man steckt selbst das Spielfeld ab, legt die Regeln fest und kann sich gegenüber jedem, der den Ring betritt als Sieger erklären. Aber meisten Leute sind nicht so blöd, auf diesen Trick hereinzufallen. Irgendwann hat man alle rhetorischen Tricks gesehen und dann wird es langweilig. Man kann die Reaktion von Vertretern bestimmter Positionen voraussagen und spätestens ab diesem Punkt erübrigt sich jede weitere Kommunikation. Dann könnte man sich genauso gut mit einer Endlosschleife unterhalten. Von Logik oder Vernunft bleibt nicht viel übrig, von Leuten mit dem rhetorischen Geschick eines Anrufbeantworters. Auswendig gelernte Sätze werden abgespult. Mit Denken hat das wenig zu tun. Aufklärung wäre – ganz einfach gesagt – dann doch die Befähigung zu einem eigenen Urteil zu kommen, selbstbestimmt Positionen einschätzen und beurteilen zu können, also doch bürgerliche Bildung.

Zum anderen ist das Spielfeld zumeist ziemlich eingegrenzt. Marxistische Gruppen könnten Veranstaltungen von CDU, Spiegel, Neonazis und Unternehmerverbänden besuchen, aber das macht geschieht aus rätselhaften Gründen nicht. Am Ende bewegen sich diese Gruppen in einem klar definierbaren Bereich: in der Gemeinschaft derjenigen, die sich darüber definieren, sich mit bestimmten politischen Inhalten zu beschäftigen. Über diesen Kreis hinaus wird nicht diskutiert. In diesem weiten Feld könnte man sich täglich Platzverweise, Strafanzeigen oder gleich verbale und konkrete Schläge bei den Veranstaltungen anderer Spektren abholen. Macht man aber nicht. Agitationsraum bleiben linke Blogs im Netz oder verrauchte Studentenkneipen.

Warum sich niemand dafür interessiert, könnte auch in der Form des Umgangs liegen. Denn kaum jemand möchte sich freiwillig beschimpfen und beleidigen lassen. Innerhalb dieser Diskussionskultur herrscht noch feinste Rohrstockpädagogik. Man hält sich für im Besitz der Wahrheit, die – egal wie – ins Gehirn des Gegenübers hineingebracht werden muss. Und wer im Besitz der Wahrheit ist, hat natürlich alles Recht das Gegenüber mit gezielter Brutalität und Penetranz einzuschüchtern. Ätzende Polemik mag zwar eine zeitlang lustig sein, irgendwann nervt sie gewaltig. So schafft man es zwar alles wegzubeissen, aber mit gezielter Agitation hat das wenig zu tun. Eher wird hier die eigene Beschädigtheit an den Mitmenschen ausgetobt.
In der Parteipolitik haben sich Mechanismen der Mässigungen etabliert: Man droht dem Gegenüber keine Schläge an und Beleidigungen sind nur in eng abgestecktem Rahmen erlaubt. Schließlich möchte man ja die Macht erlangen, außerdem könnte das Gegenüber ein möglicher Bündnispartner sein und Leute wären von Gewalt verschreckt. All das fällt als Argument in linken Diskussionen weg, denn es geht da um kein Erreichen von politischer Macht oder sonstige Sachzwänge. Ein Beruf wie in der Parteipolitik stellt die Betätigung in der Linken auch nicht dar, also muss auch hier keine Rücksicht genommen werden. Und dann ist alles erlaubt – man kann sich nach Belieben zerstreiten, wahnwitzige Thesen aufstellen oder sonstiges.

Völlig skurril wirkt die Ernsthaftigkeit, mit der Positionen vertreten werden. Als ob wirklich der Fortbestand der Menschheit davon abhänt, dass man das Gegenüber mit allen Mitteln von der eigenen Position überzeugt. Möglicherweise ist das auch eine besonders hoch entwickelte Form der Ironie, die mir unzugänglich ist: man tut nicht nur so als ob, sondern simuliert noch zusätzlich, als würde man wirklich daran glauben. Eher unwahrscheinlich, denn die Reflexionshöhe ist auch ansonsten nicht besonders hoch. Man nimmt noch nicht einmal zur Kenntnis, dass man als Geek mit Superspezialthemen knietief im Lunatic Fringe steht. Nein, in besten Größenwahnwahnphantasien geht es natürlich um nichts Geringeres als die Rettung der Menschheit.
Dabei sitzt man selbst in einer gesellschaftlich marginalisierten Position. Weder im Wissenschaftsbetrieb noch in etablierten Medien wird die eigene Meinung als wichtig erachtet. Mit Mitte 20 kann man sich noch einreden, das wäre ganz schön radikal, revolutionär und sexy (ist es schon da nicht), später kommen aber verbitterte Charaktere vom Schlage einer Jutta Dittfurth oder eines Thomas Ebermann heraus. So sieht die Bestrafung aus: Über Jahrzehnte zwar alles besser zu wissen – nur leider weil das niemand hören.

Man gibt sich der Illusion hin, als ob Öffentlichkeit noch wie Mitte der 1960er Jahre funktionieren würde. Großintellektuelle lieferten sich damals Schlagabtäusche auf universitärem Niveau und es ging um nichts geringeres als den Verlauf der Weltgeschichte. Dazu hatten linke Positionen eine intellektuelle Hegemonialstellung. Heute interessiert sich niemand mehr dafür. In der etablierten Tagespresse wird laut darüber nachgedacht, ob der Staat nicht Zeitungen unter seinen finanziellen Schutz stellen müssen, um die Kultur / Demokratie zu retten. Es geht um nichts mehr in Debatten. Statt Großintellektueller genügt es heute Figuren wie Sloterdijk als Moderator in Fernsehshows zu setzen. Den nimmt niemand mehr Ernst. Doch weder Sloterdijk noch Fernsehshows haben irgendeine Relevanz heute. Geisteswissenschaften haben generell ihre eingebildete Leitstellung vollends eingebüsst. Diese Grundlage des eigenen Handelns wird ignoriert, man findet Formen wie Flugblätter, Pamphlete, bestimmter Duktus etc. vor und arbeitet daran wird. Es wird wie imWahlkampf auf Leute eingebrabbelt, dass diese sich jetzt gefälligst für Politik zu interessieren hätten und sei es nur in Form der abgebrüht-zynischen Haltung der aktiven Ablehnung von Parteipolitik.

Man hat ganz überhistorisch die Wahrheit entdeckt – die hat ein schlauer Professor oder Doktor, in einem Buch belegt hat – und diese wird verbreitet. Dass zur Erkenntnis von Wahrheit ein (historisches) Subjekt gehört, davon will man nichts wissen. Denn da müsste man auch die eigenen Biographie anschauen. Schon komisch, mit 15 hat man selbst noch nichts von Marx gewußt, mit 20 war man in der Antifagruppe und während dem Studium findet man auf einmal Anschluß an eine marxistische Gruppe und ahmt dann die dort zirkulierende Sprache nach. Irgendwann ist das Studium zu Ende und dann wird man Schwierigkeiten haben außerhalb der Universität jemanden zu finden, der sich für diese Thesen interessiert. Der HartzIV-Fallmanager will auch nichts davon wissen.

Die immergleichen Floskeln, das miese Sprechen der Adorno und Marx- und Luxemburg-Imitatorinnen und Imitatoren – diese Masche zieht nur bei wenigen Leuten. Und der Jargon wird nicht besser, wenn man Technobeats darunter legt und den ganzen Schmonz als “Hedonismus” verkauft. Party ist woanders.