Mit offenem Mund die Rede von Sascha Lobo zur #rp14 begutachtet, nachträglich und via youtube.
Ich selbst war vor 5 Jahren als Redner auf der re:publica, hatte dann aber irgendwann kein Interesse mehr an den dort verhandelten Themen. Und wenn ich mir die “Rede zur Lage der Nation” ansehe, weiß ich mit einem Schlag wieder warum. Ich bin fassungslos über diese Selbstgerechtigkeit, mit der sich dort ein voller Saal auf der Seite der Guten wähnt und die üblichen Plattheiten abfeiert. Eine weitere Runde des Schauspiels “Deutschland empört sich über die NSA”.
Man gibt vor der Nation gegenüber kritisch zu sein, dann sind es aber doch “wir”, die an die USA mit Leib und Seele verkauft werden. Das ist genau die Form von Ideologie, die sich in Deutschland wie geschnittenes Brot verkauft.
Lobo redet von der “Bedrohung der eigenen Parlamentarier” (Minute 44.22) und liefert die üblichen Plattitüden ab, die in jede Netz-Sonntagsrede passen. Sonntagsrede deswegen, weil der Staatsbürger ein gespaltenes Wesen ist. In Umfragen sagt er immer “Datenschutz – ganz wichtig”. Als Konsument handelt er nie danach. Und auch als Wähler nicht. Siehe die Ergebnisse der Bundestagswahl im September 2013 direkt nach Snowden. Schön beschrieben ist dieses Privacy-Paradox http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2013-10/privatsphaere-ueberwachung-nsa-seemann/komplettansicht.
Vielleicht dämmert Lobo, dass er eine Minderheitenposition inne hat. Eben nichts mit “wir sind das Volk” sondern “wir sind so marginal wie der lunatic fringe”. Auf der anderen Seite hält man sich doch für die Macht des Guten. Dieser Widerspruch wird durch bockiges Herumtoben aufgelöst. Es wird eine Brandrede gehalten mit dem üblichen Muster “Wut! Schnaufz! Empörung!”. “Ich bin sauer und ihr solltet es auch sein!” ruft er den Anwesenden zu. In Sachen Clickbait ist das eine gute Strategie auf Twitter gibt es ja Beifall für diese Rede bar jeden Inhalts. Wenn du angeblich nachhaltig und langfristig arbeiten willst – warum benutzt du dann Brandbeschleuniger? Empörung ist ein einfaches Mittel im medialen Zirkus um schnell Aufmerksamkeit zu erhalten. Dummerweise ist diese genauso schnell wieder verschwunden. Die politische Linke beweist seit Jahren, dass dieser Appell an die Empörung absolut nichts bewirkt.
Er ewähnt ein loses Zitat von Herbert Marcuse und Technik als Herrschaft: im Internet sei Überwachung eingebaut. Belegt wird hier nichts, man hangelt sich zum nächsten Beispiel (wozu führt er Occulus Rift an?) und schon ist man bei einem ganzen anderen Punkt. “In einer Technologie ist sehr viel Gesellschaft eingebaut, auch wenn man glaubt, dass das nicht so sei” (Minute 41.23)
Das Beispiel mit dem Selfie aus Barcelona ist einfach nur infam und unverschämt. Es ist hier keine “neue Generation” sondern wie man auf dem Foto sieht 2 nicht mehr ganz so junge Damen, die hier einen Schnappsschuss anfertigen. Lobo biegt hier die Realität ganz gewaltig um. Es sind hier keine Protestanten, die Fotos von sich verbreiten. Das Foto wurde von einer Nachrichtenagentur verbreitet, guckst du http://www.nbcnews.com/news/world/tourists-pose-selfie-may-day-protest-rally-barcelona-n95476. Zum einen ist hier nicht klar, ob durch den aufgenommenen Winkel diese beiden Touristinnen sich wirklich vor der Barrikade ablichten haben lassen. Wenn Fotos mit Teleobjektiv aufgenommen wurden, sind Entfernungen nicht mehr abschätzbar und die Barrikade kann einige 100 Meter weit entfernt sein. Zum anderen ist die Argumentation von Lobo das Allerletzte: er bedient hier genau das widerwärtige Ressentiment, dass es ganz schlimm sei, wenn solche Fotos kursieren würden. Nein, ist es nicht. Schlimm ist, dass eine Gesellschaft solche Fotos skandalisiert, was Lobo aber genau so praktiziert.
Es wird eine Allianz eingefordert, etwa mit RTL gegen Netzneutralität. Mir ist klar, dass Realpolitik unappetitlich sein kann wie die Herstellung von Hackfleisch. Das ist nicht mein Kritikpunkt – mir fehlt an der Stelle die Frage, wem es nutzen soll. Leider geht es genauso wirr weiter: Das Navi von VW ist total blöd, deswegen muss Google ran, aber halt – die sind ja Überwacher weswegen VW ein Softwarekonzern werden muss. Weil VW als deutsche Firma endlich den Amis Paroli bieten kann? Damit dann “wir” wieder Kontrolle über unsere Daten haben und gleichzeitig den Weltmarkt dominieren?
Zum Schluß noch ein bißchen Fachkompetenz vortäuschen mit “Live-DDOS” Attacken als das Vorsprechen bei Bundestagabgeordneten. So sieht die Revolution und die totale Wut der selbsternannten Internetgurus aus: ich gehe zu meinem Abgeordneten.