Der Einleitungssatz könnte so lauten: Als professioneller Cineast habe keine Kosten und Mühen gescheut, um am Jeonju Intl. Film Festival in Südkorea teilzunehmen. Aber leider ist das gelogen, denn ich bin eher zufällig in das Festival geraten. Was sich aber als glückliche Fügung herausstellte, denn Filmfan bin ich wirklich und daher war hier glückliches Binge Watching angesagt.

Los ging es mit Island (Korea 2014) von Park Jinseong. Auf der Flitterwochen-Insel Jeju gedreht, ist der Film alles andere als eine romantische Komödie. Das Genre Ghost Movie, ohne Horrorfilm zu sein, wird hier erfunden. Bilder in nahezu schwarz-weißer Ästhetik inSepiatönen fangen das düstere Setting ein: es ist eine verschachtelte Geschichte eines Mannes, der seine Familie bei einem Autounfall verloren hat, und in einem von Geistern heimgesuchten Haus Selbstmord begehen will. Die Geschichte entfaltet sich langsam und die Vergangenheit der Beteiligten wird erzählt. Mystery-Elemente ja, Horror nein. Die von Geistern bewohnte, kleine Insel erinnerte mich an Byzantium, allerdings gibt es hier kein Blut. Das Stellrad “Mystery” wird zurückgedreht, sobald es zu unheimlich wird. Der Film erzählt eher die unaufgelösten Familienverhältnisse. Und an einigen Stellen sorgt eine gezielte Dosis Humor dafür, dass die Stimmung nicht zu drückend wird. Anschließend gab es QA mit den meisten Personen der Cast und Regisseur. Meine Notizen sind unverwertbar, das Allermeiste des Gesagten war Trivia wie “erster Film der weiblichen Nebenrolle, die am Set eines anderen Films entdeckt wurde”.

Boy Eating the Bird’s Food (Griechenland 2013) interpretiere ich als eine Metaerzählung der griechischen Krise. Die Auswirkungen der Makroebene werden hier auf der kleinteiligsten Mikroebene, dem Individuum aufgezeigt: Hunger. Der Protagonist ist ein klassisch ausgebildeter Sänger, dessen ohnehin prekäre Existenz immer weiter abrutscht. Im freien Fall. Kollabieren, Wohnungseinrichtung durch’s Treppenhaus schleifen, Dinge zum Pfandleiher bringen. Und – siehe Titel – Vogelfutter essen, da es nichts anders gibt. Selten wirkte ein abgelutschter Zeigefinger so obszön wie in der Eröffnungssequenz. Der mit Digitalkamera aufgenommene Film ist dort besonders stark, wo er dem Hauptdarsteller buchstäblich im Nacken sitzt. Bei einer Sprintsequenz, die mit einem blutenden Knie endet. Das wirkt nahezu dokumentarisch und lebensecht.

Inherent Vice von P.T. Anderson ist so verwirrend wie die Romanvorlage von Thomas Pynchon. Der Plot spielt 1970 an der Westküste im Hippiemileu. Die zugedröhnte Dope-Stimmung macht den Zuschauer breit und konterkariert den sich immer weiter ausfaltenden, komplexen Plot. Der Hauptdarsteller, von Joaqin Phoenix unglaublich schmierig gespielt, kann als Privatdetektiv dem Plot noch folgen, ich hatte dagegen mehrere Aussetzer. Anderen Zuschauern ging es genauso und ich verwirrte diese noch zusätzlich mit der Frage, welche Teile der Handlung vom Protagonisten halluziniert wurden. Doc projiziert ständig, indem er seinen Informanten Paranoia ins Notizbuch diagnostiziert, aber am Ende selbst am Rohr gef… Oder spoilerfrei zusammengefasst: just because you’re paranoid doesn’t mean they aren’t out to get you. Wer auch immer in diesem Film “die Anderen” sind. Assoziationen mit The big Lebowski und Fear and loathing in Las Vegas sind vorhanden.

Überpräsent auf dem Festival war der britische Film “The Trip to Italy”, der gefühlt pro Tag mindestens dreimal lief. Leider überhaupt nicht mein Fall sondern das, was ich als ermattend und nervtötend empfinde. 2 britische Schauspieler werden per Roadtrip durch Italien geschickt. Gerade Rob Brydon ist eine unsägliche Knallcharge, dem selbst aufgebahrten Totenschädel nichts als Kulisse für mittelmässige Albernheiten sind. Mühsam wurde eine Art rudimentäre Handlung zurechtgezimmert, auf der sich die beiden Darsteller entlang improvisieren inkl. dem zeitgenössisch schwer angesagten Verwischen von Darstellerbiographie und Rolle. Man sieht ihnen vornehmlich beim Essen sowie bei mittelmässigen Michael Caine Imitationen zu. Ich verfüge nicht über genügend Stockholm-Syndrom um mitzulachen, wenn hier zwei Dummschwätzer notorische Dampfplauderei gegen das Publikum betreiben. Okay, okay, ich packe die Kettensäge der Kritik wieder ein. Ganz gelungen an dem Film ist dann doch eine Leichtigkeit, mit der zwischen Comedy und kleineren dramatischen Elementen gewechselt wird. Die bürgerliche Bildungsreise kann auch Spaß machen, im Sinne eines gelungenen bürgerlichen Lebensentwurfs. Trotz alledem: ich komme nicht dahinter, warum es diesen Film gibt.

Reality (Frankreich, 2014) von Quentin Dupieux. Seine Filme wurden hier im Blog im Rahmen des Fantasy Filmfest besprochen. Und an der Stelle wundere ich mich auch gleich, wie viele Filme er pro Jahr schafft, denn Wrong und Wrong Cops liegen noch nicht lange zurück. Diese beiden Filme waren eher eine Ansammlung von Skurrilitäten und 1970er Retrogegenständen. Durch diesen funny-not-funny-Humor war das teils wie ein Besuch beim Zahnarzt. Reality ist dagegen Feuerwerk für die Synapsen. Die irre Idee des Films wird immer weiter ausgebaut und immer verrückter. Französischer geht es wohl kaum mit französischer Psychoanalysesession in L.A. Träume und Film, Freud und Deleuze. Dazwischen erlegt der Produzent noch Surfer mit Zielfernrohr und am Ende hat das Wildschwein die blaue Kassette verspeist. Alles klar? Sollte man gesehen haben. Aber auch hier angemerkt: Filmwirtschaft im Endstadium des Kannibalismus: es ist scheinbar nur noch möglich Filme über die Produktion von Filmen zu drehen.

The Nightmare (USA, 2015) von Rodney Ascher. Dieser Film – und ich habe mir das nicht ausgedacht – hat mich binnen 20 Minuten in Tiefschlaf versetzt. Das Sounddesign und der komponierte Soundtrack ist gut (und wirkt einschläfernd). Das ist auch das einzig Gute, was ich über diesen Film zu sagen weiß. Ganz furchtbares Pseudo-Doku-Gedöhns um Geisterscheinungen im Schlaf. Inklusive 90er-Jahre-Alien-Masken. Furchtbar.