“But apocalyptic stories are ultimately escapist fantasies, even if no one escapes. End-times narratives offer the terrible resolution of ultimate destruction. Partial destruction, displacement, hunger, want, weakness, loss, need—these are more difficult stories. That is all the more reason we should be glad writers are beginning to tell them: to help us imagine not dying this way but living this way.”
Kathryn Schulz – Writers in the Storm. New Yorker
Ich bin Fan von Stephenson, seit ich irgendwann Ende der 1990er Jahre Diamond Age in die Hände bekommen habe. Seitdem habe ich alle seine Bücher verfolgt und die Richtungen, die er einschlug. Die Geschichte der Kryptographie als quasi historischer Roman in Cryptonomicon, dann den Barock Cycle. Am Rande notiert: Der Titel seines Romans Ream.de wurde auf deutsch “Error” – hier muss man erstmal diese Verzwirbelungen der Logik mitmachen, damit am Ende auf deutsch ein nichtssagender, englischer Titel herauskommt. Aus “Seveneves” wurde dann auf deutsch das kryptische “Amalthea”, benannt nach einem Gesteinsbrocken, der im Buch eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Ich habe das Buch jedenfalls auf englisch gelesen – bzw. nicht gelesen, doch dazu mehr am Ende.
Seveneves nun. Also. Tja. Mhh. Was soll ich sagen. To put it simple: das Buch ist misslungen. Ehrlich gesagt war das Lesen streckenweise zäh und quälend, was auch an der epochalen Länge von über 800 Seiten liegt. NS schreibt gerne viel und oft auch zu viel. Im Barock Zyklus ging das noch klar, Ream.de war dagegen bereits definitiv zu lang. Dort wurde der dünne Plot über alle Maße gedehnt und ausgewalzt, was durch die Detektivgeschichte aber noch streckenweise kurzweilig war. Seveneves ist nun ähnlich lang, wenngleich auch aus anderen Gründen.
Eigentlich sind es drei Bücher in einem. Part One: Katastrophenszenario. Part Two: Space Novela and survival horror. Part Three: In a distant civilization 5000 years from now.
Bevor ich ins Detail gehe, hier die Kurzsynopsis: die Handlung spielt in der nahen Zukunft. Ausgangsszenario ist, dass der Mond durch eine unbekannte Ursache explodierte und 7 Teilstücke hinterließ. Eine statistische Berechnung ergibt, dass in 2 Jahren die Überreste des Monds kollidieren und als Meteoritenregen auf die Erdoberfläche regnen werden. Menschliches Leben wird dort für 5000 Jahre unmöglich sein. Die Menschheit entschließt sich kollektiv die Raumstation ISS auszubauen und in sog. Arklets aus jedem Land 2 Menschen ins All zu schicken.
Es werden ausgiebig technische Details des Weltall-Lebens ausgebreitet, etwa wie genau Roboter funktionieren und was kosmische Strahlung mit Platinen anrichtet. Muss ich das alles wirklich wissen? Es ist vor allem die Art und Weise, wie das beschrieben wird. Diamond Age war noch Fiction im besten Sinne, das Buch war als Märchen interpretierbar. Snow Crash war auch extrem witzig geschrieben. Der Spaß, die Verspieltheit fehlt in Seveneves dagegen gänzlich. Es ist ein ernstes Beharren darauf, dass das Beschriebene handwerklich genau so funktionieren könnte. Hard Sci Fi in einer nervtötenden Variante: langwierig und zäh. Einen ähnlich fatalistischen, leicht bitteren Tonfall gibt es schon in einigen neueren Essays der Non-fiction Anthologie “Some Remarks” zu lesen, etwa in “Innovation Starvation” von 2011.
Das Buch ist ein Gegenentwurf zu Andy Weir’s “The Martian” (ich gestehe: ich habe nur den Film gesehen). In Weirs Fiktion stirbt niemand (body count: 0), es gibt keinerlei Intrigen in staatlichen Institutionen oder von Individuen. Es geht um humanistische Ideale, alle stehen gemeinsam ein um eine Person zu retten. In Seveneves ist dagegen der Einzelne unwichtig, es geht schließlich um Höheres, die überhistorisch Mission: das Überleben der Art, d.h. des Genpools. Ich bin mir nicht sicher, ob das eine komplett falsche Interpretation des Konzept der Biologie umd des egoistischen Gen ist. Es wird völlig kritiklos eine Eugeniker-Phantasie dargelegt. Irgendwann als klar ist, dass die Erde dem Untergang geweiht ist, gibt es nur noch den Kollektivwillen. Einzig einige irrationale Charaktere in Venezuela schießen quer, während der Rest der Ratio folgt. Vor einer solchen Idee von Vernunft bekomme ich Angst.
Die Charaktere sind alle blaß gezeichnet und unwichtig und das scheint Absicht zu sein: es sterben ja eh alle. Und diese Sterberei ist kalt und zynisch, wie ein unwichtiges Beiwerk. Dieser Untergang der Erde a la Emmerich-Katastrophenfilm wird dann genauso kitschig ausgemalt: mit grotesk überzeichneten Hollywood-Klischees des Abschieds: der alte Mann, der in den Mineneingang hineingezerrt werden muss. Die letzte Kommunikation zwischen zwei Liebenden.
Stichwort Misogynie. Es verwundert mich nicht, dass der Charakter der Präsidentin Julia in Leserkommentaren auf reddit et al. Hass auf sich zieht. Die Beschreibung bedient fürchterliche Klischees des Frauenhass. Die Intrigante, die durch gekonntes Reden manipuliert. Und nur Reden kann, wo alle eigentlich anpacken müssten. Sie sichert sich entgegen aller Regeln einen Platz auf der Arche. Und gefährdet das Leben aller mit einem Revolver, wenn es ihr zweckdienlich erscheint. Aber egal, am Ende zählt nur die Verwertungsfähigkeit – nicht als Gebärmaschine – sondern als Genpool-Speicher für die schöne Klonwelt von morgen.
Am Schluß: Ich bleibe ratlos zurück, was das Buch eigentlich von mir will. Neal Stephenson beschwerte sich ja selbst darüber, dass heute die positiven Visionen fehlen würden. Nur legt er eben selbst ein zynisches Buch vor, das in keiner Weise inspiriert. Im Gegensatz zum NASA-Promofilm “The Martian”, indem ganz altbacken und erhaben angewandte Naturwissenschaften und Humanismus propagiert werden. Oder, um es mit Neal Stephenson zu sagen: to get big things done.
Ich habe das Buch nicht zu Ende gelesen – irgendwann Mitte des letzten Drittels bin ich entnervt ausgestiegen. Kann man ein Review über ein Buch schreiben, das man nicht zu Ende gelesen hat? Der geneigte Leser dieser Rezension möge sich bei einer Tasse Tee darüber selbst ein Urteil bilden.