Torsun ist Ende Dezember verstorben. Unsere Lebenswege kreuzten sich einige Male. Aufgewachsen sind wir beide in der südwestdeutschen Provinz, knapp 100 Kilometer entfernt. Und entdeckten beide als Jugendliche Punkrock und Hardcore, ungefähr zur ähnlichen Zeit Anfang der 1990er Jahre. Was man so macht, als Jugendliche*r auf dem Land. Dorfpunks halt.
Wobei wir beide erst beim Hardcore landeten. Das war damals groß und es gab ein gut ausgebautes Netzwerk an JUZes und AZs bundesweit. Die Musikindustrie brauchten wir nicht, Bands und lokale Veranstalter*innen hatten ein eigenes Netzwerk geschaffen. Wie das Internet, nur in analog. Du konntest mit einer Band ein Demo Tape aufnehmen und dich da ruckzuck einklinken.
Und das hat Torsun, damals noch ohne Alias unterwegs, dann auch gemacht. Eine Band gegründet, losgelegt. FACE REALITY waren das. Ich war 14 und kam über ältere Leute an der Schule, die selbst schon in Bands spielten, an deren Demo ran. Und ich fand seine Band super. Und wollte die unbedingt für mein Fanzine interviewen. Keine Ahnung mehr, wie der Kontakt zustande kam. Ich vermute mal, ich schrieb per Brief. Kommunikation verlief damals entweder postalisch oder per Telefon, ein Faxgerät hatten die meisten nicht.
Ich habe ihn dann 1992 für mein damaliges Fanzine interviewt. Als er mit seiner Band FACE REALITY im “Haus der Jugend” in Bad Dürkheim spielte, am Wurstmarktplatz. Die Band fand ich so gut, dass ich davor den Text von ihrem Demotape “Why?” auswendig lernte und mit ihnen auf der Bühne sang. Da ging es inhaltlich um Tierrechte, das Thema war damals extrem heiß. Es gibt ein Foto davon, das mit im Heft landete.
Leider versandete der Kontakt danach wieder. Ich hatte mit der Band noch Briefe ausgetauscht. Aber die Bergstraße war von mir aus so weit, dass diese als 14jähriger nicht zu erreichen war.
Torsun selbst hat das Demo noch gerippt und auf youtube eingestellt: https://www.youtube.com/watch?v=_6e16vHaLWg Die Band löste sich dann Folgejahr auf, das bekam ich aber schon nicht mehr mit. Irgendwie war das aber auch symptomatisch für den Niedergang von Hardcore zu der Zeit. Kannste mal ein ZAP Fanzine von 1992 und 1995 in die Hand nehmen und miteinander vergleichen. Die Blütezeit war vorbei, viele neue Stile kamen Anfang der 90er auf, Zeit der Verwirrung und Umorientierung und klassischer Punkrock wurde wieder dominant. Etwa beim erwähnten ZAP. Oder bei einer Band wie HAMMERHEAD, die ihre ersten Lieder als Straight Edge Combo rausbrachten.
Sprung ins Jahr 2008. Torsun und ich sind uns Jahre später in Berlin wieder über den Weg gelaufen. Das letzte Mal auf der 50. Ausgabe Bahamas Party im Acud. Justus Wertmüller erklärte im verdrucksten Duktus eines Deutschlehrers, dass EGOTRONIC ja nun nicht die Hausband der Bahamas seien, aber wenn die Bahamas eine Hausband hätte, ja dann wäre das EGOTRONIC. Nach dem Gig redete ich mit Torsun über irgendwas mit Remix. Danach verlor ich ihn aus den Augen.
Das ist ein kleiner Mosaikstein für ein gelebtes Leben. Celebrating a beautiful life.
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Er hat letztes Jahr noch ein langes Interview für einen biographischen Podcast gegeben, in dem er seine ganze Musik- und Polit-Laufbahn Revue passieren ließ: Und dann kam Punk, Episode 113
Und diesen Nachruf von Koljah in der Jungle World fand ich treffend für die letzten Jahre.